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"Ich trau' mich, was zu tun"
Nachruf auf Olivia Tawiah

Walter Jost - mit vielen Anleihen bei Bettina Berens | 31.07.2019

Olivia Tawiah Es ist immer schockierend, wenn jemand aus dem Bekanntenkreis vor der Zeit von uns geht. Wobei niemand beantworten kann, wann denn die richtige Zeit wäre ...

Olivia Tawiah habe ich 2012 kennengelernt, als sich in Mönchengladbach ein örtlicher Ableger der internationalen Transition Town-Bewegung zu bilden begann. Ein Besuch bei einer Informationsveranstaltung zur Solidarischen Landwirtschaft am 22. Februar in Düsseldorf war die erste Aktivität der Mönchengladbacher Initiative. Dabei sind wir auch Olivia begegnet.

Im Mai folgte eine Filmveranstaltung des Wandelkinos im Düsseldorfer Ökotop Heerdt. Nachdem Olivia den Kampf mit der Präsentationstechnik erfolgreich gemeistert hatte, konnten wir "Queen of the Sun" erleben.

Die Naturdokumentation von Taggart Siegel vermittelt wertvolle Kenntnisse über die Rolle von Bienen im Ökosystem. Und über ihre Bedrohung durch Schadstoffe, landwirtschaftliche Monokulturen und andere negative Umwelteinflüsse. Ein absoluter Augenöffner.

Infostand

(Bild: Walter Jost | Margarethengarten Mönchengladbach 10.06.2012)

Der erste Informationsstand der Transition Town Initiative Mönchengladbach im Margarethengarten bei der offiziellen Eröffnung des Bürgergartens am 10. Juni 2012. Als Gast aus Düsseldorf mit dabei: Olivia Tawiah (Zweite von links).

In jüngeren Jahren war Olivia, damals noch Casali, in der Musikszene aktiv. "Östro 430 war eine vierköpfige Frauenband der Neuen Deutschen Welle aus Düsseldorf. Sie formierte sich 1979 und löste sich 1984 auf," meint die Wikipedia zu wissen. Am 3. Mai 1980 fand ihr erster Auftritt im Okie Dokie in Neuss statt, auf einem Festival, das von dem Punk-Fanzine Schmier veranstaltet wurde. Sie fielen der Band Fehlfarben auf, die sie als Vorgruppe für ihre Deutschland-Tournee engagierten. 1980 wurden drei Songs (Sexueller Notstand, Triebtäter und Too Cool) auf dem Schallmauer-Sampler veröffentlicht. 1981 folgte die erste EP Durch Dick & Dünn mit insgesamt acht Songs (Das Quietschende Bett, Sechzehn, Sexueller Notstand, Plastikwelt, S-Bahn, Ich Halt Mich Raus, Idi Otto, Zu Cool). Wenige Monate nach Veröffentlichung der EP verließ Olivia Casali die Band.

Anfang 1982 wechselte sie zu Fehlfarben, beteiligte sich an Background-Gesang und übernahm den Bass bei einigen Stücken. Auf der Single 14 Tage ist sie beteiligt mit Background-Gesang und Text des Songs Uh Cherie. Nach einer großen dreimonatigen Tour durch Deutschland, Österreich und Holland, kurz vor dem Rockpalast-Auftritt, verließ sie die Band und zog nach Italien. Seit 1989 lebte sie wieder in Düsseldorf und hieß jetzt Olivia Tawiah.

Die meisten von uns leben mehr als ein Leben. Ich kenne vor allem ihr Engagement in der Transition Town-Bewegung. Bettina Berens schreibt dazu, dass Olivia schon viele Jahre in der alternativen Szene Düsseldorfs unterwegs war, bevor sie selbst 2009 begann, ihre Finger in das Leben dieser Stadt zu stecken.

Worüber heute vielerorts debattiert wird, war damals mit der Transition Town-Bewegung in Deutschland angekommen und fand in beiden aktive Vertreterinnen. Die ersten Treffen der Transition Town-Gruppe Düsseldorf fanden im Niemandsland start.

Für Nicht-Düsseldorfer sind hier einige Erläuterungen notwendig. Niemandsland, Café du Kräh, Die Halle: Das sind Treffpunkte der alternativen und ökologischen Szene in Düsseldorf. Verbunden sind sie mit dem Namen Hans-Rainer Jonas. Der Erbe eines Immobilienvermögens hat einen Teil seines Besitzes für alternative Projekte in der Landeshauptstadt zur Verfügung gestellt.

Das Niemandsland ist ein altes Haus mit Ladenlokal vorne und einem Hinterhof mit weiteren Gebäuden drum herum. Als ich zuletzt dort war, gab es an der Straße einen Bioladen. Es gibt einen Niemandsland e. V., der die Immobilien als Projektwerkstatt nutzt. Täglich ist das Niemandsland für Mitglieder und Gäste zugänglich. Regelmäßig gibt es hier Essen, Kurse, Workshops und Vorträge.

In der Krahestraße gehören mehrere aneinander grenzende Häuser der Hausverwaltung Hans-Rainer Jonas. Erkennbar ist das auf den ersten Blick, denn die Fassaden der Gebäude Krähestraße 12 bis 20 wurden von Elisabeth Abs und anderen Künstlern und Bewohnern malerisch gestaltet. Das Café du Kräh in der Krahestraße 20 ist ein Nachbarschaftstreffpunkt, für den der Hauseigentümer eine Erdgeschosswohnung unentgeltlich zur Verfügung gestellt hat. Daneben gibt es ein weiteres Angebot für gemeinsame Aktivitäten der Bewohner: Ein früherer gemeinsamer Garagenhof wurde entsiegelt und inzwischen wohl zum Gemeinschaftsgarten umgestaltet.

Olivia hatte begonnen, mit ihrem Wandelkino Filme zu zeigen, die vermitteln konnten, welche Änderungen im menschlichen Verhalten erforderlich und möglich sind. Es kamen über die Treffen Menschen vom Niemandsland, vom Ökotop, vom Verein Solaris und der Frauengruppe Komma hinzu.

Bedingungsloses Grundeinkommen war ein großes Thema für Olivia, als ihr bewusst wurde, wie wichtig der Kampf gegen den Chemieriesen Monsanto für sie sein würde. Auch dieser Bereich fand Raum in der Transition-Gruppe. Der erste weltweite Demoaufruf gegen Monsanto wurde entsprechend mit dem March against Monsanto umgesetzt.

(Bild: Walter Jost | March against Monsanto Düsseldorf 25.05.2013)

Olivia Tawiah bei der Begrüßungsrede für den March against Monsanto in Düsseldorf 2013. Links von ihr (mit Krönchen) Mitinitiatorin Ina Bentner.

Im nächsten Jahr wurde das Angebot mit dem Markt Aller Möglichkeiten auf dem Graf-Adolf-Platz erweitert. Es war immer klar, dass es zu Antiaufrufen auch den Aufruf zum Handeln geben musste. Bei uns war es die Erkenntnis, dass zu viele essbare Lebensmittel einfach im Müll landen.

(Bild: Walter Jost | March against Monsanto Düsseldorf 25.05.2013)

Musikalische Einlage von Ex-Punkerin Olivia Tawiah mit Klarinettenbegleitung nach der Demo beim Markt Aller Möglichkeiten auf dem Graf-Adolf-Platz.

2011 gab es zur Pre-Preview des Filmes "Taste the Waste" von Valentin Thurn im Programmkino Bambi eine erste Präsentation von krummem Gemüse und Solidarischer Landwirtschaft. Über die Einladung eines grünen Landtagsabgeordneten fand das Thema den direkten Weg in die Politik.

Lebensmittel rückten ins Zentrum der Aktivitäten: Der Verein Foodsharing nahm Fahrt auf. Olivia beteiligte sich mit Einsammelaktionen und verteilte an Menschen, die den Wert der geretteten Waren erkannten. Occupy bekam regelmäßig Nachschub für die Küche. Auch der Lammertzhof wurde infiziert und rief zur Nachernte auf dem Gemüsefeld auf.

Das Saatgutfestival wurde ins Leben gerufen und hatte 2019 über 2000 Besucher, die alte Sorten erhalten und dafür sorgen wollen, dass ökologische Lebensmittelerzeugung in aller Munde ist. 2013 waren Olivia und Bettina Initiatorinnen der Haaner Solidarischen Landwirtschaft - Solawi Kirberghof.

(Bild: Marietta Mnich | March against Monsanto Düsseldorf 25.05.2013)

Düsseldorf und Mönchengladbach eng beieinander: Tiefenökologe Helmuth, Ina, Organisationsbiene Walter, Tobias, Olivia und Si Mone.

Für einige Zeit sah es so aus, dass dieses Projekt in Mönchengladbach realisiert werden könnte. Im Mai 2013 fand im sozio-kulturellen Treffpunkt Ladenlokal ein Transition Café mit Bettina Berens als Referentin zum Thema "Solidarische Landwirtschaft" statt. Danach bildete sich eine Arbeitsgruppe, die den Kauf eines Bauernhofes vorbereiten sollte. Die Suche nach einem geeigneten Objekt zog sich hin, dann ergab sich die Möglichkeit in Haan und die Düsseldorferinnen siedelten ihr Projekt dort an. In Mönchengladbach gründete sich dann später doch noch eine eigene Solidarische Landwirtschaft.

In Düsseldorf verlangten alle Aktivitäten nach einem Ort, wo die Vielfalt sichtbar und erlebbar werden konnte. 2014 bekam das Niemandsland eine Schwester: Leben-findet-Stadt. Die Halle an der Uedesheimer Straße wurde zum Hotspot für Gruppen, die gemeinschaftlich andere Wege kennenlernen und ausprobieren möchten.

Jeden Montag wurden gerettete Lebensmittel gemeinsam gekocht und gegessen. Die Küche vom Camp am Hambacher Forst wurde regelmäßig mit Gemüse und Brot versorgt.

2016 war es soweit, Düsseldorfs erste Solidarische Landwirtschaft fand zusammen und bewirtschaftet seitdem erfolgreich ein Feldstück auf dem Lammertzhof in Büttgen. Auch Olivias Wunsch, einer Foodcoop anzugehören, erfüllte sich. Der Nachbarschaftsverein an der Krahestraße ermöglicht es seinen Teilnehmenden, möglichst direkt und unverpackt Lebensmittel zu beziehen.

2018 nahm Olivia der Krebs in Beschlag. Erst betreute sie ihre Mutter in Italien. Ende des Jahres wurde festgestellt, dass Olivia an Lungenkrebs sterben würde.

Es ging schnell. Viele Projekte hatten sie und ihre MitstreiterInnen sich noch vorgenommen.

Am 14. April 2019 ist Olivia gestorben.

(Bild: Walter Jost | March against Monsanto Düsseldorf 23.05.2015)

Meine letzte Begegnung mit Olivia beim March against Monsanto 2015 auf der Kö.

(Bild: Walter Jost | March against Monsanto Düsseldorf 23.05.2015)

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